Karolina Tomanek
Grau, grau, grau ist alles...
[um mich herum] “ –oder wie?!
Manchmal (vielleicht gerade in der heutigen Zeit) geraten wir in Situationen in unserem Leben, die für uns durch und durch negativ und belastend sind. Wir sehen keinen Ausweg, alles scheint schlimm, kein Licht am Ende des Tunnels. Wir fühlen uns machtlos, energielos und können nur noch passiv zu schauen wie wir die Kontrolle und Freude an unserem Leben verlieren. Als Betriebsseelsorgerin habe ich oft mit Menschen zu tun, die sich in ihrer Arbeit in genau solchen Situationen befinden. Die ehemals schöne Arbeitsstelle erscheint nur noch als Belastung und notwendiges Übel. Die Energie schwindet, die Arbeit wird zu einer auszehrenden Kraftanstrengung, die nicht selten psychische Erkrankungen nach sich zieht, welche wiederum langwierig behandelt werden müssen.
Was können wir tun?
Schauen wir uns das Bild zu diesem Text an. Ich mag es sehr gerne. Dieses wunderbare blau der kleinen Libelle, dieser Kontrast der Farben, das zarte Strahlen der Frühlingssonne. Schön!
Als ich dieses Bild gemacht habe war das Wetter total feucht und kalt. Die Sonne kam nur kurz hinter den Wolken hervor, der Fluss im Hintergrund war ziemlich verdreckt und mein Sohn hat sich in die Hose gemacht und den ganzen Wald zusammengebrüllt.
Das war also auch noch da.

OK, aber was hat das jetzt mit dem Thema zu tun?
Ich fotografiere sehr gern. Und am liebsten fotografiere ich die kleinen unscheinbaren Dinge, die man ganz schnell übersieht. Ich schaue durch die Linse und entscheide ganz bewusst was ich scharf stellen möchte, auf was also der Blick gelenkt werden soll. Dabei verschwinden alle anderen Sachen nicht. Sie sind noch da. Weniger scharf, weniger präsent und oft geben sie dem Motiv den gewissen Touch. Wie der graue, schmutzige Fluss, der die Libelle strahlen lässt.
Es geht nicht darum Dinge umzudeuten oder verschwinden zu lassen. Alles ist da. Alles gehört zur Realität dazu. Es geht auch nicht darum sich seine Situation schön zu reden oder mit anderen zu vergleichen, denen es womöglich noch schlimmer geht.
Tatsache ist aber, dass wir Menschen dazu neigen das Negative in den Vordergrund zu stellen. Wir verwenden wesentlich mehr Energie darauf über Dinge zu schimpfen, die uns stören und nerven, als uns an schönen Dingen zu erfreuen oder über sie zu sprechen.
Was können wir also TUN?
Wir können ganz bewusst entscheiden welchem Thema wir wieviel Aufmerksamkeit schenken. Wir können entscheiden was wir in den Fokus stellen wollen. Wir können unseren Blick auf Dinge lenken die auch noch da sind, nur kleiner, stiller unaufgeregter.
Nicht das wir uns falsch verstehen, das nimmt die Sorgen und Nöte nicht weg. Das ist kein ´positive thinking` aus den Siebzigern. Aber es kann Kraft und Energie geben, um genau diese Sorgen und Nöte angehen oder aushalten zu können. Es tut gut Schönes vor Augen zu haben. Zu wissen, dass da noch mehr ist.
Als Kind musste ich vor dem Schlafengehen immer beten. Dabei habe ich dem lieben Gott für die verschiedenen schönen Dinge gedankt, die mir an dem Tag passiert sind. Vielleicht wäre das ein gutes Ritual für uns Erwachsene? Unseren Tag Revue passieren lassen und dabei nach den Dingen durchforsten die gut gelaufen sind, auf die wir stolz sind und für die wir dankbar sein können.
Wie würde dein Fotoalbum aussehen?